Elisabeth Scharfenberg, Mitglied im Deutschen Bundestag

Mitglied im Deutschen Bundestag

Hohe Rendite – schlechte Pflege? Veranstaltung mit Elisabeth Scharfenberg

Um Pflege zwischen Profit und Menschenwürde ging es bei der dritten Veranstaltung der Gesprächsreihe „Zukunft der Pflege“, zu der Elisabeth Scharfenberg eingeladen hatte.

26.09.2016

An der intensiv und emotional geführten Debatte beteiligten sich der Wirtschaftsprüfer Karl Nauen und Pflegeexperte Claus Fussek sowie viele Gäste im Publikum, die Einblick in die Probleme der Pflege vor Ort gaben. Durch den Abend führte die Moderatorin Martina Schrey.

Wovon hängt Qualität in der Pflege ab, woran ist sie erkennbar? Laut Claus Fussek ist das System Pflege komplett intransparent. Pflegenoten und schöne Broschüren seien überhaupt nicht aussagekräftig, da sie von der Realität komplett abweichen. Auch einen Unterschied zwischen privaten und gemeinnützigen Einrichtungen sehe er nicht. Jede Einrichtung sei anders, da es vor allem darauf ankäme, wie sie geführt werde: „Der Fisch stinkt vom Kopf.“ Es gebe gut geführte Häuser, die schwarze Zahlen schrieben, aber nicht teurer seien als andere. Und es gebe eben genau das Gegenteil. Hauptkriterium für Qualität ist laut Fussek die Wertschätzung des Personals, die sich in einem respektvollen Umgang, in Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und gutem Umgang mit Pflegeschülern ausdrückt. Zufriedene Mitarbeiter, die sich mit einer Einrichtung identifizieren, seien ausschlaggebend für eine gute Arbeitsatmosphäre: „Alle arbeiten am Limit, aber bei Wertschätzung der Mitarbeiter gibt es weniger Krankheitsfälle, weniger Zeitarbeit und auch weniger Arbeitsgerichtsprozesse.“ Generell könne jedoch ein so sensibler Bereich wie Krankheit und Gesundheit nicht markt- und börsentauglich sein.

Ein Haus gut führen und damit auch Geld zu verdienen ist möglich, hielt ihm Karl Nauen entgegen, der die wirtschaftliche Seite der Pflege erläuterte. Oft sei es für gemeinnützige Einrichtungen nicht so leicht, wie man aufgrund der Möglichkeiten zur Quersubventionierung denken würde. Meist seien sie tarifrechtlich gebunden, lange am Markt und hätten langjährige Mitarbeiter, was zwangsläufig zu einer höheren Durchschnittsvergütung führe. Wenn sich dies im Preis niederschlägt, seien solche Häuser häufig nicht mehr wettbewerbsfähig und gerieten in eine wirtschaftliche Schieflage, die Rationalisierungsmaßnahmen notwendig machten. Dem widersprach Claus Fussek, da aus seiner Sicht Angehörige bereit wären, mehr zu zahlen, wenn sie sicher sein könnten, dafür gute Qualität zu bekommen.

Transparenz in Pflegeeinrichtungen dringend notwendig

Gute Qualität wolle jeder, aber zu erkennen, ob in einem Heim gut gepflegt wird, sei für Außenstehende oft schwierig, stellte Elisabeth Scharfenberg fest. Ob Pflegekräfte und Bewohner gut behandelt werden, sei an den Pflegenoten nicht abzulesen, da überall eine „1“ hingehängt werde. Hier sei Transparenz notwendig, ein neues System. Die Koalition habe zwar erkannt, dass die Pflegenoten gescheitert sind, ein neues System mit echten Qualitätskriterien lasse jedoch auf sich warten. Am Personal zu sparen sei immer falsch, da dies zwingend auf Kosten der Qualität in der Betreuung ginge. Ein verbindlicher Personalschlüssel müsse jetzt festgelegt werden und nicht erst im Jahr 2020, wie es Minister Gröhe plant. „Viele Pflegekräfte können jetzt kaum in den Spiegel schauen, weil sie keine Chance haben, ihren Ansprüchen an gute Pflege gerecht zu werden.“ Karl Nauen widersprach: Qualität sei nicht immer nur am Personaleinsatz festzumachen. Es gibt Personalanhaltswerte, die nicht unterschritten werden könnten, da es Kontrollen gebe. Der Stellenplan würde nicht über die Einrichtungen festgelegt. Es sei falsch, den Betreibern einen Vorwurf zu machen, es liegt am System.

 

Wer kämpft für gute Pflege?

Wer kann diese Probleme zu lösen? Wir alle, stellte Claus Fussek fest. Seiner Ansicht muss das Thema Pflege präsenter werden. In Wahlkämpfen spiele es keine Rolle, die Pflegelobby arbeite zu eng mit der Politik zusammen, die Politik habe keine Möglichkeit zu erfahren, wie Pflege wirklich abläuft und Pflegekräfte wären in der Dokumentation ihrer Arbeit nicht ehrlich oder mutig genug, auf Missstände hinzuweisen: „Die haben alle Angst, als Nestbeschmutzer zu gelten.“ Heimleiter würden bei Pflegesatzverhandlungen nicht vehement genug ihre Interessen vertreten. Die Heimaufsicht würde oft wegschauen, die Gesellschaft sowieso. Existierende Kontrollmaßnahmen seien lediglich Realsatire. Trotzdem protestiere keiner gegen die bestehenden Verhältnisse. „Wir wollen es alle eigentlich nicht wissen“, stellte er fest. Pflegekräfte, Angehörige und Pflegebedürftige müssten sich solidarisieren, um eine schlagkräftige Lobby zu haben. Es sei an der Zeit, eine ethische Diskussion zu führen.

Viele Baustellen im Pflegesystem

Die lebhafte Diskussion mit dem Publikum zeigte, wo es hakt - aber auch, wo die Möglichkeiten liegen.

Dass es möglich ist, mit guter Führung am Markt zu bestehen, bestätigte ein Einrichtungsleiter. Sein Familienbetrieb mit 30 Mitarbeitern und 80 bis 90 Patienten biete Leistungen nach SGB XI (Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung) an, für SGB V (Behandlungspflege) hätten sie einen Kooperationspartner. Wichtig sei ihm, die Mitarbeiter selbst auch gut zu pflegen, durch Einbindung in die Dienstplangestaltung, durch gute Bezahlung etc.

Vielen Heimleitern und Pflegedienstleitern sei nicht klar, was gute Pflege bedeute, stellte eine diplomierte Pflegewirtin fest. Dabei wäre es Aufgabe der Führung, gute Pflege konsequent umzusetzen und auf Missstände zu reagieren. Es müsse verpflichtende Weiterbildungen für Leitungskräfte geben, sowie ein systematisches Qualitätsmanagement. Eine hohe Mitarbeiterfluktuation sollte Einrichtungsleitern immer ein Warnsignal sein.

Es hänge am Geld, macht der Leiter einer ambulanten Intensivpflegeeinrichtung deutlich. Die Frage sei doch: Sind wir bereit, für Top-Pflege Geld zu investieren? Alle wollten immer bessere Pflege. Das kostet. Gleichzeitig würde die Gesellschaft älter und immer weniger zahlten in das System ein. Eine Angehörige verdeutlichte, dass es an Ansprechpartnern fehle, um auf schlechte Pflegebedingungen hinzuweisen. Sie habe Hausverbot erhalten, nachdem sie dem Heim unbequem geworden war. Dass eine andere Form der Qualitätskontrolle dringend benötigt wird, bestätigte eine Pflegekraft. Für die MDK-Noten würde oft Dokumentation gefälscht. Zudem hätten schlechte Noten keinerlei Konsequenzen. Dass stattdessen objektive Kriterien für Qualität und eine sinnvolle Kontrolle notwendig seien, sagte auch ein Mitarbeiter eines Pflegestützpunkts.

Abschließend beantwortete Elisabeth Scharfenberg die Frage aus dem Publikum, welche vier Forderungen sie einbringen würde, wäre sie nächstes Jahr an Koalitionsverhandlungen beteiligt. An oberster Stelle steht für sie ein verbindliches Personalbemessungsinstrument, das sofort umgesetzt werden muss. Das Personal muss finanziert werden. Zudem müssten Kommunen mit einbezogen werden, da sie der Ort seien, wo Pflege stattfindet. Die Pflegenoten müssten abgelöst werden von neuen Instrumenten, die Lebensqualität wiederspiegeln und das System transparent machen. Zudem sollte den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen auch ein Case Manager zur Seite gestellt werden, der ihnen Orientierung in der undurchsichtigen Pflegelandschaft bietet und sie passend zur individuellen Situation berät. 

Fotos der Veranstaltung

Tags: Alter und Pflege
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